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NARRENREPUBLIK DEUTSCHLAND

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Warum feiern wir Fasching, Fastnacht, Karneval?

Deutschland im Ausnahmezustand. Die Fünften Jahreszeit ist heute milliardenschwerer Wirtschaftsfaktor und einer der ältesten Bräuche überhaupt. Aber was genau feiern wir da eigentlich? Und wieviel Brauchtum steckt heute noch drin im Megaevent Karneval?

Rheinischer Karneval und schwäbisch-alemannische Fasnet: Es sind die beiden närrischen Gegenwelten in Deutschland. Hier die Pappnase, da die Holzlarve. Gegenseitiges Verständnis – Fehlanzeige. Die Gründe dafür liegen weit zurück, tief im christlichen Mittelalter.

Lange sah man die Karnevalsbräuche in der Tradition heidnischer Frühlingsfeste, bei denen mit Lärmen und Schlagen der Winter vertrieben werden sollte. Heute ist sich die Wissenschaft sicher: die Wurzeln des Karnevals liegen woanders. Die Fastnacht ist, wie das Wort „Fasten“ schon sagt, eng verbunden mit dem christlichen Jahresablauf. Der Kirchenkalender diktiert genau den Zeitpunkt, wann im Jahr die richtige Zeit ist. Entscheidend ist das Osterfest und die vorhergehende 40tägige Fastenzeit. Denn bevor das große Fasten beginnen konnte, mussten alle verderblichen Lebensmittel verbraucht werden: Eier, tierische Fette, Fleisch- und Milchprodukte. Fünf Tage lang, von Weiberfastnacht bis zum Aschermittwoch durfte deshalb hemmungslos geschlemmt werden. Spätestens seit dem 13. Jahrhundert geschah das im Rahmen großer öffentlicher Gelage, die eigentlich nichts anderes waren als Resteverwertung. Die schmalzigen Fastnachtskrapfen zeugen noch heute davon. Seither hat sich der Karneval, beeinflusst von Politik und Gesellschaft, immer wieder verändert, stand um 1800 fast vor dem Aus und erfand sich neu, organisierter, aber frech wie eh und je. Unter dem Schutz der Narrenkappe wird damals wie heute auch scharfe Kritik an Herrschenden und obere Klassen geübt. Warum beginnt die Fünfte Jahreszeit am 11. November? Welche Bedeutung hat die Figur des Narren? Warum verkleiden sich an den Tollen Tagen überall Menschen und tragen Kappen? Wie entstand die politische Fastnacht? Und was hat Weiberfastnacht mit der Emanzipation der Geschlechter zu tun? ZDF-History“ geht auf Spurensuche in unserer närrischen Geschichte.

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Auf Vimeo anschauen
22.02.2018 | 43 min.
Ausstrahlung
11. Februar 2018, ZDF
Ein Film von
Jörg Müllner und Thomas Lischak
Kamera
Klaus Sturm, Ralph Wilhelm, Clemens Wolfsperger
Schnitt
Tim Greiner, Nico Omonsky, Bernhard Schulder
Animation
Peter Ederer
Sprecher
Nick Benjamin
Produktion History Media
Gilbert Schwab
Produktion ZDF
Frauke Wolf
Redaktion ZDF
Winfried Laasch
Redaktion ZDF
Stefan Brauburger, Ursula Nellessen

Presseecho

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TV-Kolumne „ZDF-History – Narrenrepublik Deutschland

Kölner, jetzt heißt’s stark sein: Aufregender Karneval findet woanders statt

Alaaf, Helau, Ahoi – Karneval wird nicht nur im Rheinland gefeiert. Und revolutionär waren die närrischen Tage in Köln, Düsseldorf oder Mainz nie. Das waren sie woanders. In Wasungen zum Beispiel.

Nie gehört? Der 4000-Seelen Ort liegt in Thüringen. Und zu DDR-Zeiten ging dort einmal im Jahr  die Post ab. Bei den Narren-Sitzungen wurde der Arbeiter- und Bauernstaat öffentlich nicht ernst genommen und zum Umzug reisten Hippies aus der ganzen Republik an.

Das kleine Woodstock

Aufrührerisch sieht das heute nicht mehr aus, war es aber. Langhaarige Parker-Träger schunkeln untergehakt durch die Straßen. Eine Sensation. Das Regime drückte im thüringischen Wasungen in den 80er-Jahren fünf Tage lang ein Auge zu – und so versammelten sich unangepasste junge Leute zuhauf in dem Ort. Das kleine Woodstock der DDR.

Bis die SED-Führung 1986 diese Auszeit nicht mehr dulden wollte, die angereisten Jugendlichen  verhaftete und niederknüppelte. Der berühmteste Büttenredner, Heinrich Wey, bekam auch gleich Hausarrest. Das war das  Ende seiner Karnevalskarriere. Rückblickend sagt er, in Wasungen seien keine Witze erzählt worden, sondern man habe das gesagt, was von der Regierung nicht so geliebt war, ohne den Staat an den Pranger zu stellen. Die hohe Kunst der Kritik eben.

Die wahren Erfinder des Rosenmontagsumzugs

Witze erzählen, das macht man woanders. Bei den Prunksitzungen am Rhein, etwa. Oder man schunkelt sich fröhlich zu einem umfangreichen Liedgut, und jedes einzelne Musikstück besingt, wie es schön es doch in „Kölle“ ist. „Der Kölner Karneval ist der Wunsch nach Party“, sagt einer von der Konkurrenzveranstaltung, ein Mainzer Büttenredner. Und dann kommt’s knüppeldick aus Mainz.

ZDF-History enthüllt, noch nicht mal der Rosenmontagszug ist in Kölnerfunden worden. Sondern in Nürnberg. Dort zogen bereits im 15. Jahrhundert maskierte Bürger singend durch die Stadt und spotteten über die Mächtigen. Von Napoleon und politischem Karneval am Rhein war da noch lange nichts zu sehen.

Von Karnevalhassern organisiert

Nach dem Abzug der Franzosen verpassten Karnevalshasser der Veranstaltung den Rahmen, der bis heute Gültigkeit hat. Die ordnungsliebenden Preußen ließen „festordnende Comites“ gründen. Die legten fortan und bis heute die exakte Route für die Umzüge fest und kontrollieren auch sonst das vorgeblich wilde Treiben. Karneval wurde und blieb eine ernste Sache.

Fastnachtliche Konterrevolution in Süddeutschland

Der neue politisch aufgeladene Karneval, der im 19. Jahrhundert entsteht, ist eine Sache des Bildungsbürgertums und das stinkt den „kleinen Leuten“, zumindest in Baden und Württemberg. Dort holen sie die alten Kostüme und Holzlarven aus den Kisten und feiern bis heute eine Fastnacht wie im 18. Jahrhundert.

Party statt Politik

In Mainz reimt unterdessen ein weitsichtiger Büttenredner „Spaß beseite, genug gelacht; jetzt ist Fernsehfasenacht“ und erklärt via Zweitem Deutschen Fernsehen: „Der gereimte politische Vortrag hat es schwer“, da müsse halt genau zugehört werden.

In Köln wird derweil geschunkelt, was das Zeug hält, und der Kabarettist Jürgen Becker beklagt eine „Verballermannisierung“ des Karnevals. Die Lieder müssten „voll auf die 12“ gehen, leise Töne unerwünscht. „Die Generation Fun ist dran“, sagt einFastnachtsforscher. Und das närrische Treiben hat zudem Konkurrenz bekommen in Gestalt von Christopher Street Day und Halloween.

Vielleicht muss bald ein Enkel von Ernst Neger ran und „Heile, heile Gänsje“ singen.

Susanne Wittlich